Ich bin nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird,
aber im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen.
Albert Einstein
Hannes hatte während seines letzten USA Aufenthaltes im Titan Missile Museum in Tucson Arizona eine Tour durch ein Titan II Silo mitgemacht. Dort enstand die Idee, dass wir zusammen eine Forschungsreise in Richtung USA zu wichtigen Schauplätzen des kalten Krieges unternehmen, um uns einen Eindruck der anderen Seite zu verschaffen. Der Kontakt zur Leiterin des Museums, einem ehemaligen Commander dieses Silos, wurde aufgenommen, um die entsprechende Genehmigungen zum Erstellen und Veröffentlichen von Panoramafotos für unsere Dokumentation zu bekommen. Daraus entwickelte sich ein Informationsaustausch per Mail und letztendlich eine Einladung nach Tucson Arizona zur Besichtigung und Dokumentation des Titan II Silos nebst Sonderführung durch den Archivar des Museums, Chuck Penson.
Natürlich lohnt es sich nicht wegen eines Objektes in die USA zu fliegen, also haben wir uns nach weiteren umgesehen. Im Ergebnis hatten wir sechs Ziele, für vier (Titan II Silo, Titan I Silo, Minuteman Silo und ehemaliger Bunker für den Congress) hatten wir eine feste Zusage als wir losflogen, das fünfte (NORAD) war noch offen und für das sechste (Atomtestzentrum in Nevada) hätten wir uns ein Jahr vorher anmelden müssen.
Mitte Juli nahmen wir den 17 stündigen Flug in Angriff, erst einmal bis New York, dann weiter über Huston nach Tucson. Den Anflug auf unser Reiseziel werde ich wohl nie vergessen. Unsere kleine Maschine wurde etwas durchgeschüttelt. Am pechschwarzen Himmel über den Bergen in Richtung Mexiko stand eine ordentliche Gewitterfront und teilweise zuckten mehrere Blitze gleichzeitig auf. Die Natur bot uns ein einmaliges Schauspiel. Mit einiger Phantasie konnte man sich Vorstellen, dass es ein ähnliches Szenario gegeben hätte, wenn die in Arizona stationierten Raketen (Siehe Bild links) gestartet wären.
Am nächsten Morgen ging es noch 25 Meilen auf dem Highway in Richtung Mexiko, vorbei an bis zu drei Meter hohen Kakteen. Dann ein unscheinbarer Wegweiser und wir fuhren auf das Gelände der Titan Base in Green Valley. Ich war einigermaßen überrascht, denn das Gelände der Basis war für mein Verständnis relativ klein und komplett einsehbar. An der Tür des Eingangsbauwerkes die Warnung vor Klapperschlangen. Sie sind die natürlichen Schädlingsbekämpfer für die, über den jetzt ständig geöffneten Belüftungsschacht, eingedrungenen Wüstenmäuse. So holt sich die Natur ihr Terrain zurück, in Deutschland sind es die Fledermäuse, die sich in den alten Bunkeranlagen heimisch fühlen. Der Kontakt mit Chuck war sofort hergestellt und die Tour begann.
Über eine Treppe ging es ca. 15 Meter in die Tiefe, dann die erste schwere Drucktür. Jetzt waren wir im Inneren der Anlage, die bautechnisch aus den durch Tunnel verbundenen Teilen Eingangsbauwerk, Launch Control Center und dem Silo besteht (Bild rechts). Aus dem Eingangsbauwerk gelangt man in einen Technikbereich von dem die beiden Tunnel abzweigen. Das Launch Control Center ist ein Kuppelbau mit drei Etagen. Von unten nach oben: Technikbereich für Lebenserhaltungssysteme und Energieversorgung, der Arbeitsbereich mit Kommunikationsanlage und Startkontrollsystemen und oben Ruheraum mit Küche. Der gesamte Innenbereich durch Federamortisatoren stoßgesichert. Der Arbeitsbereich, das eigentliche Launch Control Center, ist mit zwei Arbeitsplätzen eingerichtet. Hier versahen der Commander und sein Stellvertreter ihren Dienst, zur Crew gehörten noch zwei Techniker. Die Arbeitsplätze, im Prinzip zwei Schaltpulte mit Arbeitsfläche, beinhalten die Steuerung der Startsequenz und Kommunikationstechnik. Im Winkel davor sind die Schaltschränke angeordnet, daneben der Safe mit den Schlüsseln und den Codes. Launch Control CenterNach dem Eingeben des Startcodes mussten Kommandant und Stellvertreter ihre Startschlüssel einstecken, gleichzeitig drehen und 5 Sekunden halten. Von diesem Zeitpunkt dauerte es 60 Sekunden bis die Titan II das Silo verließ. Chuck Penson bemerkte noch: "Übrigens gab es keine Ooops- Taste (Entschuldigung, habe mich geirrt) - wenn die Startsequenz eingeleitet war, gab es kein Zurück!"
Es war schon ein merkwürdiges Gefühl in diesem Sessel, vor dem Pult zu sitzen, und an Hand der Lämpchen zu verfolgen, wie die einzelnen Systeme aktiviert werden. Zum Glück fehlte die Vibration der startenden Rakete. Nachdem wir uns das Launch Control Center angeschaut hatten, gelangten wir über die Verbindungstunnel zum Silo.
Die Verbindungstunnel sind nur relativ schwach geschützt aber mit Metallauskleidung (EMP Schutz). Die Fußbodenkonstruktion, die auch die Traversen für die Kabelbefestigung trägt, sind schwingungsgedämpft aufgehängt und die Kabel mit Schlaufen verlegt. Nach Passieren einer weiteren Drucktür befinden wir uns im Level 2 des Silos (Level 1 befindet sich direkt unter der Erdoberfläche). Das Silo besteht senkrecht aus zwei Kammern, der äußere Ring beherbergt die Versorgungstechnik, im inneren Schacht steht die Rakete. Dieser Schacht ist mit schwingungsdämpfendem Material ausgekleidet. Zum weiteren Schwingungsabbau befindet sich im Level 8 (unter der Rakete) eine mit Düsen versehene Ringleitung, aus der zum Startzeitpunkt ein Wassernebel entfaltet wird.
In Höhe von Level 2 befindet sich in der Rakete der Hohlraum, in dem während der aktiven Zeit der 9 Mt Sprengkopf montiert war. Hier gibt es eine Wartungsluke, über die wir 40 Meter in die Tiefe schauen können - vor uns der Raketenkörper. Hier entstand eines der Panoramen, welches hier zu sehen ist (Weitere sind noch nicht fertig gestellt). Darüber im Level 1 der wesentliche Öffnungsmechanismus für den Silodeckel. In den Level 3 bis 8 ist weitere Technik untergebracht. Diese Technik ist weitestgehend auf amortisierten Plattformen installiert. Im Level 7 eine Arbeitsplattform, von hier aus konnte der Raketenmotor gewartet werden. Darüber im Level 6 die Halterungskonstruktion auf der die Rakete steht. Diese Halterung über Federkonstruktionen amortisiert wird erst kurz vor dem Start automatisch festgeklinkt und justiert.
Im Level 9 der Abgasdeflektor (Stahlbetonkegel der den Abgasstrahl des Triebwerkes nach oben umleitet), hier beginnen auch die beiden Abgasaustrittsschächte die zwischen äußerer Silowand und Technikbereich nach oben führen.
Nachdem wir bis in den letzten Winkel von Level 9 gekrochen waren, gab es einen Fahrstuhl der uns wieder nach oben brachte.
Hier hatten wir im Anschluss noch eine Verabredung mit der ehemaligen Commanderin Yvonne Mois. Sie leitet heute das Museum und hatte sich an diesem Tag, trotz reichlicher Aufgaben, für uns viel Zeit genommen. Nun saßen sich zwei Veteranen des kalten Krieges gegenüber und wir stellten einige Gemeinsamkeiten fest. Wenn ein möglicher Krieg und todbringende Waffen zur alltäglichen Beschäftigung gehören, dann wird ein Mensch doch erheblich davon geprägt. Wir haben jeder unseren Job gemacht - die Geschichte des kalten Krieges hatte uns diesen Platz zugewiesen. Und wieder einmal wurde klar, wie wichtig es ist, dass diese Erinnerungen und Schicksale nicht verloren gehen, damit spätere Generationen daraus lernen können. Ich finde es beeindruckend, dass wir zusammensaßen und uns über die einstmals größten Geheimnisse austauschen konnten.
Dieser erste Tag unserer Tour hat uns viele neue Eindrücke vermittelt und an den nächsten Tagen werden weitere folgen. Der nächste Abschnitt aus unserer USA Reihe: "6000 Flugzeuge in der Wüste und Titan I".
Für heute mit freundlichen Grüßen, Jürgen Freitag
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