Eine Ostergeschichte
Vom Eise befreit sind Strom und Bäche durch des Frühlings holden belebenden Blick, …
Johann Wolfgang von Goethe
Wer meint Ostern und Bunker, das passt irgendwie nicht zusammen, dem möchte ich heute eine Auferstehungsgeschichte der etwas anderen Art erzählen. Sie hat sich zwar nicht in biblischen Zeiten, aber immerhin vor 27 Jahren zugetragen. Die damals Beteiligten konnten es fast als zweiten Geburtstag betrachten. Doch bevor ich zu meiner Geschichte komme noch zwei Informationen.
Erstens, am 10. März haben wir den Verein Bunker 5001 e.V. gegründet. Vorerst sind wir eine kleine Gruppe, aber vielleicht entwickelt sich das Ganze in der Zukunft. Leser unserer Seite die als Sponsoren oder Fördernde Mitglieder mitwirken möchten sind gerne willkommen. Weitere Informationen folgen im Laufe der Zeit bzw. erteilen wir Ungeduldigen auch gerne telefonisch.
Zweitens, die nachfolgende Geschichte steht nicht allein. Sie ist Teil eines Buches mit dem voraussichtlichen Titel "Bunker 5001", das im Herbst 2010 im Motobuchverlag erscheinen soll. Wie an der nachfolgende Episode zu erkennen ist, geht es hier nicht nur um die Technik des Bunkers 5001, sondern auch um die Geschichten darum herum. Es werden viele noch unbekannte Details dieses interessanten Bauwerkes beleuchtet. Im Buch sind auch einige Fotos, erzeugt aus den Panoramen unserer Dokumentation, zu sehen - dafür bin ich Hannes Hensel besonders dankbar. Neben geschichtlichen Zusammenhängen und konkreten Beschreibungen des Bauablaufes, werden auch ausgewählte schutztechnische Funktionen an Hand von Fotos und Projektunterlagen erläutert. Der nachfolgende Abschnitt behandelt eine Geschichte, die so nebenbei passierte, und soll nur einen ganz kleinen Einblick von dem 240 Seiten umfassenden Buch vermitteln.
Eine MIG auf falschem Kurs
Es war Ende März und ein Frühlingstag, der sich wettermäßig nicht so recht entscheiden konnte. Nach den letzten Regentagen gab es aber schon einige Wolkenlücken. Die Bauarbeiter des Spezialbaukombinates Schwedt und der Betriebe für die technische Ausrüstung auf dem Objekt 5002 erledigten die letzten Montagearbeiten. Sie freuten sich auf das lange Wochenende der bevorstehenden Osterfeiertage. Für einen Großteil der Arbeiter war schon ab Dienstag frei, denn dann begann die KFP (Komplexe Funktionserprobung) und die Arbeiten auf dem Objekt ruhten. Bis dahin musste aber noch das Wochenende durchgearbeitet werden, um die letzten Arbeiten abzuschließen. Und dann kam die Familie zu ihrem Recht. Nach dem frühen Arbeitsbeginn stellten sich alle langsam auf die Frühstückspause ein. Dafür mussten sie einen kleinen Anmarschweg in Kauf nehmen, denn die Kantine, in der es einen kleinen Imbiss und warme Getränke gab, befand sich im U-Zonenbereich.
Zur gleichen Zeit auf dem nahegelegenen Militärflugplatz der sowjetischen Streitkräfte in Finow ging der Pilot einer MIG 23, zu seiner Maschine. Es hatte technische Probleme gegeben und das Flugzeug kam aus der Generalinstandsetzung. Voll aufgetankt und bewaffnet sollte es wieder in Dienst gehen. Bevor das geschehen konnte musste aber noch ein Probeflug absolviert werden. Die Startvorbereitungen verliefen normal und die MIG hob pünktlich ab.
Zeitgleich saßen die Offiziere der technischen Führungsebene im Teilobjekt 03 des Objektes 5001 bei Major Richter zur Dienstbesprechung. Hier ging es um die Arbeitsschwerpunkte in Vorbereitung der KFP auf dem Objekt 5002 und um die Funktionserprobungen im Hauptbauwerk. Plötzlich klingelte das Telefon. Das war ungewöhnlich, denn während solcher Beratungen durfte die Sekretärin nur in besonderen Ausnahmefällen durchstellen. Mein Vorgesetzter nahm etwas ungehalten den Hörer ab und dann wurde er weiß um die Nase. Mir ist noch seine erste Frage in Erinnerung: »Wurde jemand verletzt?« Nach Beendigung des Gespräches informierte er uns kurz: »Auf dem Objekt 5002 ist ein Militärflugzeug dicht neben dem Schutzbauwerk abgestürzt, bis jetzt kein Personenschaden, Feuerwehr und Sankra (Sanitätskraftwagen, militärische Bezeichnung für einen Krankenwagen) sind auf dem Weg zur brennenden Unglücksstelle.« Zielgerichtet und knapp erteilte er seine Befehle. Hptm. Grimmer und ich erhielten den Auftrag zur Absturzstelle zu fahren und die Lage aufzuklären. Es war meine schnellste Autofahrt zu diesem Objekt. Als wir von der Fernverkehrsstraße zur Objekteinfahrt abbogen, bemerkten wir einen anfliegenden Hubschrauber. Im Objekt angekommen mussten wir feststellen, dass der schneller war und schon auf einem unserer Antennenfelder gelandet war. Die sowjetischen Militärs hatten ebenfalls sehr schnell reagiert, um sich zu informieren und die Rettungs- und Bergungsmaßnahmen sofort einleiten zu können. Wie sich später herausstellte, war der Kommandeur der Einheit sofort mit dem Hubschrauber losgeflogen, um seinen evtl. verletzten Piloten bei Bedarf sofort ins Krankenhaus bringen zu können. Es hatte einen letzten Funkverkehr gegeben, hier hatte der Pilot mitgeteilt, dass er versuchen will, die Maschine bis zuletzt unter Kontrolle zu halten. Damit wollte er sicher gehen, dass der Absturz über unbewohntem Gebiet erfolgt. Das hatte natürlich einen Absprung aus geringer Höhe zur Folge, und der war mit Risiken verbunden. Diese gute Absicht konnte er aber nicht ganz umsetzen.
Kurz nach uns trafen die Feuerwehr und der Sankra ein. Dazu noch eine Bemerkung. Speziell für solche Fälle gab es diese Fahrzeuge und die nichtstrukturellen Besatzungen im Bestand unserer Abteilung. Damit sollte vermieden werden, das fremde Hilfskräfte auf unseren Objekten handeln mussten. Es gab auch die ausgebildeten Kräfte und einen Notfallplan wie bei Unfällen und Bränden zu verfahren war. Den Weg zur Absturzstelle brauchte keiner zu erklären. Die schwarze Rauchwolke war nicht zu übersehen. Dann gab es auch schon einen lauten Knall und kurze Zeit später noch einen. Wie sich später herausstellte, war es die an Bord befindliche Munition. Als erstes mussten die schaulustigen Bauarbeiter aus der Gefahrenzone gebracht werden. Sie glaubten, weil sie dem Tode einmal knapp entronnen waren, könne ihnen nichts mehr passieren. Das Geschehen kurz zu vor war kein Spaß. Die führerlose Maschine war nur in etwa 10 Meter Höhe, direkt über die Kantinenbaracke hinweg gerast. Dann schlug sie im Wald auf, unmittelbar neben der Trasse der Hochspannungssicherungsanlage. Vorsichtig legte die Besatzung der Feuerwehr einen Schaumteppich.
Major Richter hatte zwischenzeitlich Oberst Ku. informiert und war dann ebenfalls zum Unfallort gekommen. Wir hatten inzwischen Kontakt zu den sowjetischen Offizieren aufgenommen, einem General und einem Oberst. Ihre größte Sorge galt dem Schicksal des Piloten. Die teilten wir selbstverständlich, hatten aber auch die Verantwortung, die Kollateralschäden möglichst gering zu halten. Also machte Major Richter ihnen verständlich, dass die Suche nach dem noch vermissten Piloten eingeleitet ist. Gleichzeitig forderte er sie höflich auf, den Hubschrauber an einem anderen Ort zu »parken«. Der Hubschrauberpilot war aber verschwunden, also setzte sich der sowjetische Oberst selbst ins Cockpit. Mein Chef wurde gebeten, einen anderen Landeort zu zuweisen. Es war sicher sein aufregendster Flug, denn die sowjetischen Freunde schlossen wegen des kleinen Hüpfers nicht extra die Kabinentür. Nachdem der Hubschrauber unser Antennenfeld verlassen hatte, kam die Meldung, dass der Pilot zwar in einer ungemütlichen Lage, aber unverletzt war. Sein Fallschirm hatte sich in der Krone einer Kiefer verfangen und dort hing er noch. Unterdessen hatte sich auch der Hubschrauberpilot wieder angefunden, bei der Suche nach seinen Kammeraden wurde er von unseren Sicherungskräften aufgegriffen. Wegen unserer vielen Zäune hatte er die Orientierung verloren und seinen Hubschrauber nicht mehr gefunden. Der Rest ist schnell zusammengefasst. Das Feuer wurde relativ kurzristig gelöscht, es ist zwar noch einiges an Munition explodiert, durch unsere Absperrungen kam aber keiner zu schaden. Die Feuerwehrleute hatten ihre Aufgabe gut erfüllt und der Brandschaden hielt sich im Rahmen. Der Sankra wurde zum Glück nicht benötigt. Einer der sowjetischen Offiziere inspizierte die Trümmer der MIG und erklärte, dass wesentlichste von der ehemaligen Bewaffnung sei vorhanden und es bestünde keine Gefahr mehr. Mit Hilfe eines Kranes des Baubetriebes wurden die Reste der MIG auf einen Tieflader verfrachtet, abgedeckt und abtransportiert.
Einen kleinen Nachschlag gab es aber noch. Am nächsten Tag fanden Bauarbeiter zufällig eine der Raketen der MIG in der P-Zone. Eine gründliche Suche brachte noch zwei weitere zu Tage. Diese Waffen wurden umgehend an die sowjetische Einheit übergeben. Seit jenem Tag lag ein kleines Stück Aluminium in meinem Schreibtischfach. Es erinnerte mich noch einige Jahre daran, das Leben und Tod manchmal nur 10 Meter auseinanderliegen.
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Für heute mit freundlichen Grüßen, Jürgen Freitag